Kaum ein anderer See des bayerischen Alpenvorlandes ist durch eine derartige Vielzahl an Inseln, Halbinseln und verwunschenen Buchten geprägt wie der innerhalb eines Naturschutzgebietes gelegene Langbürgner See. Innerhalb einer kleinen Seengruppe, der sog. „Hemhofer Seenplatte“ gelegen, bietet dieser See jedoch nicht nur landschaftliche Reize, sondern weist auch in archäologischer Sicht in unmittelbarer Umgebung interessante Vorbefunde auf. Nördlich des Langbürgner Sees wurde am Südufer des nahe gelegenen Hartsees durch Walter Torbrügge ein wohl bronze- oder hallstattzeitlicher Grabhügel dokumentiert. Hinzu kommen mehrere Einzelfunde der römischen Kaiserzeit, die in Zusammenhang mit der um das Nord- und Nordostufer des nahe gelegenen Schloßsees verlaufenden Via Julia von Augsburg (AUGUSTA VINDELICUM) über Seebruck (BEDAIUM) nach Salzburg (IUVAVUM) zu sehen sind. Neben mehreren Bronzemünzen belegt vor allem der Meilenstein aus dem nahe gelegenen Eggstätt die Existenz der römischen Fernstraße in unmittelbarer Nähe. 1973 wurde im Auftrag des Deutschen Museums ein Einbaum aus dem Langbürgner See geborgen. Mittels radiometrischer Analysen konnte diesem Wasserfahrzeug ein Entstehungsdatum zw. 710 und 810 n. Chr. zugeordnet werden und dürfte daher im frühen Mittelalter von Anwohnern des Langbürgner Sees verwendet worden sein. Dieser Einbaum ist seit seiner Konservierung im Deutschen Museum ausgestellt und konnte 2001 erstmals detailgetreu dokumentiert werden. Das Wasserfahrzeug weist eine Restlänge von 3,87 Metern sowie eine Breite von 0,40 bis 0,44 Metern auf. Es vermittelt mit einer maximal 7 cm aufgehenden Bordwand leider nur noch ansatzweise das Bild des vollständigen Bootskörpers. Etwa in Bootsmitte wurde an Stelle eines größeren Astloches ein kleineres Holzbrettchen in den Einbaumboden eingeschlagen – die Schlagspur sowie zur Abdichtung eingefügte Holzspäne sind noch deutlich zu erkennen. Eventuell ist der Einbaum vom Langbürgner See mit den bekannten Burgställen, der „Zicken- und Zinnenburg“, in Verbindung zu bringen.
Die „Zickenburg“ wird in Überlieferungen zwischen 1120 und 1158 mons Seborc genannt und wird aufgrund von archäologisch-topographischen Vergleichen mit typologisch ähnlichen bayerischen Ringwallanlagen in das frühe Mittelalter (ca. 9. bis 10. Jahrhundert sowie zweite Ausbauphase im 11. Jahrhundert) datiert. Aufgrund fehlender archäologischer Grabungen kann derzeit jedoch keine verlässliche absolute Datierung der Wallanlagen vorgenommen werden. Fest steht jedoch, dass die „Zickenburg“ als Vorläuferanlage der urbs Hademarsperch zu gelten hat, einer Burganlage, die zwischen dem Schloßsee im Norden und dem Langbürgner See im Süden gestanden hat. Sie wird im Jahr 1166 als zentraler Herrschaftssitz der Grafen von Falkenstein genannt und wurde im Jahre 1247 durch Herzog Ludwig belagert. Nach dem Aussterben des Falkensteingeschlechtes ging dieses castrum Hademarsperch in den Besitz der Wittelsbacher über und wird 1394 „… sambt dem Burckstal Sicklispurg dabey“ von Herzog Stephan im Austausch gegen die Burg Reichersbeuren an Otto von Pienzenau weitergegeben. Die südlichere Halbinsel, die sog. „Zinnenburg“, weist keine erkennbaren Wallanlagen auf. Sie besteht aus mehreren, abgestuften Terrassen mit einer Art Auffahrt an der Südostseite und wird daher als sog. „Spähhügel“ der nördlicheren Hauptanlage interpretiert. Beide Anlagen wurden auf kaum 300 Meter voneinander entfernten Moränenkegeln am Ostufer des Sees errichtet und ragen im heutigen landschaftlichen Erscheinungsbild als Halbinseln in das offene Seewasser. Da zur Entstehungszeit der Befestigungsanlagen von einem höheren, mittleren Wasserpegel ausgegangen werden muss, dürften beide Anlagen ursprünglich auf echten Inseln errichtet worden sein. Die heutige Schilfzone zwischen den Inseln im Westen und dem eigentlichen Ostufer muss damit als ehemalige Wasserfläche rekonstruiert werden. Der ursprüngliche Zugangsbereich zur Inselbefestigung „Zickenburg“ konnte im Nordosten der Wallanlage ausgemacht werden. Eine Verbindung zum genau gegenüberliegenden Ostufer scheint somit wahrscheinlich. Leider ist dieser Bereich aufgrund einer dichten Schilfzone nicht mehr zu erschließen. Generalmajor Karl Popp a. D. berichtet in seinem 1894 gehaltenen Vortrag über „Wallburgen, Burgställe und Schanzen in Oberbayern“ auch von einem heute unter Wasser gelegenen Steg zwischen „Zicken- und Zinnenburg“, einem möglichen Hinweis auf die Gleichzeitigkeit beider Anlagen.
Vor dem Hintergrund dieser spannenden Forschungsgeschichte erfolgte im Sommer und Herbst des Jahres 2006 im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege eine großflächige unterwasserarchäologische Prospektion des Langbürgner Sees mit besonderer Betonung des Areals um die beiden Inselbefestigungen. Mithilfe tatkräftiger Unterstützung durch die örtliche Wasserwachtgruppe Bad Endorf konnte das Uferareal um beide Halbinseln systematisch erforscht werden. Abgesehen von zwei neuzeitlichen Doppelpfahlreihen mit nur geringen Erosionsspuren, die sowohl die Bucht zwischen der „Zicken- und Zinnenburg“ als auch die südlich daran angrenzende Bucht zum Zwecke des Fischfangs von der übrigen Seefläche abtrennten, gelang erstmals die Dokumentation einer kurzen Doppelpfahlreihe aus neun noch erhaltenen und stark erodierten Pfosten zwischen den beiden Befestigungsanlagen in nur geringer Wassertiefe. Die Doppelpfahlreihe verläuft ausgehend von der Südspitze der „Zickenburg“ in südöstlicher Richtung zur „Zinnenburg“ und besteht aus Pfählen mit einem Durchmesser von ca. 25 cm. Von einem Pfahljoch zum nächsten konnte ein Abstand von durchschnittlich 2,50 Metern ermittelt werden, während die Jochbreite ca. 2,90 Meter betrug. Damit könnte die Doppelpfahlreihe als Steg oder als kleine Balkenbrücke zwischen beiden Befestigungen interpretiert werden. Entnommene Holzproben wurden im AMS-Labor der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen einer radiometrischen Analyse zugeführt, die eine mittelalterliche Datierung des Seeüberganges zwischen 1025 und 1158 n. Chr. erbrachte.
Im Zuge weiterer unterwasserarchäologischer Prospektionen konnte eine weitere bis auf Grundniveau aberodierte Doppelpfahlreihe zwischen der südlichen „Zinnenburg“ und dem Westufer in ca. 3 Metern Wassertiefe entdeckt werden. Die Pfähle dieser Anlage weisen einen stärkeren Durchmesser von bis zu 50 cm auf. Ob sie damit als tragender Unterbau für eine wesentlich massivere Konstruktion gedient haben oder ob aufgrund einer größeren Wassertiefe der Einsatz von mächtigeren Pfählen notwendig war, kann aufgrund weiterer fehlender Holzaufbauten nicht mehr rekonstruiert werden. Die Dokumentation von insgesamt noch fünf erhaltenen Pfahlpaaren sowie von weiteren vier in etwa derselben Flucht aufgenommenen Pfählen lässt auch hier vorsichtig an einen Brückenübergang zwischen dem Westufer und der „Zinnenburg“ am Ostufer denken. Jedoch ist eine andere Interpretation, beispielsweise in Form einer „Sperrvorrichtung“, aufgrund fehlender aufgehender Bauelemente ebenfalls möglich. Auch diese Doppelpfahlreihe wurde durch die Entnahme von kleinen Holzbohrkernen zur Durchführung von radiometrischen Analysen verprobt. Zeitgleich mit der kleineren Doppelpfahlreihe zwischen der „Zicken- und Zinnenburg“ konnte für diese zweite Anlage eine Datierung zwischen 1024 und 1163 n. Chr. ermittelt werden.
Die Datierung der beiden potentiellen Seeübergänge des Langbürgner Sees fällt in die Blütezeit des Grafengeschlechtes von Falkenstein, die zur Zeit der Staufer eines der mächtigsten Herrschergeschlechter darstellte. Mit ihren ältesten Besitzungen im oberen Vils- und Inntal erstreckte sich ihr Einflussgebiet mit weiten Ländereien bis nach Tirol, in das Mangfalltal, nach Niederösterreich und eben auch in den Chiemgau. Im sog. „Codex Falkensteinensis“, dem bislang einzigen uns überlieferten Traditionsbuch einer mittelalterlichen Grundherrschaft, werden die vier Stammburgen der Falkensteiner genannt und zusätzlich in einer rot-braun gehaltenen Miniaturmalerei dargestellt. Neben Neuburg an der Mangfall, der Burg Falkenstein am Inn sowie neben der niederösterreichischen Burg Hernstein wird auch die vierte Burg, das oberbayerische Wasserschloss Hartmannsberg, die „urbs Hademarsperch“ gezeigt. Neben der Burgdarstellung mit einem zinnenbewehrten Mauerwerk und einer romanischen Bogenfassade ist auch ein Mann mit einer Angel zu erkennen. Zweifellos fällt die Datierung der Brücken der „urbs Hademarsperch“ noch in die Herrschaftszeit des Falkensteiners Sibotos IV., der vor seinem Aufbruch zum vierten Italienzug Barbarossas im Herbst 1166 von Kanonikern des Stiftes Herrenchiemsee eben den genannten „Codex Falkensteinensis“ anlegen ließ, um den Familienbesitz für seine noch unmündigen Kinder zu sichern, sollte er nicht mehr aus Italien zurückkehren. Dass der Langbürgner See auch in späterer Zeit noch über eine Brücke verfügte, ist durch die Karte von Appian aus dem Jahre 1568 n. Chr. belegt. Legt man dieser Karte trotz mangelndem Maßstab eine gewisse Abbildungsrealität zugrunde, so darf die hier dargestellte Brückenanlage jedoch eher am Nordufer des Sees unter der heutigen Bundesstraße vermutet werden, an dem ein heute noch vorhandener, kleiner Durchfluss in Richtung Norden zum angrenzenden Schloßsee besteht.
Tobias Pflederer