Die älteste Schnur Bayerns...                                                                               Aus der jungneolithischen Pfahlstation von Kempfenhausen

Im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege führte die Bayerische Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V. in den Jahren 1985, 1986 sowie 1997-2000 umfangreiche unterwasserarchäologische Untersuchungen an der jungneolithischen Pfahlstation von Kempfenhausen im Starnberger See durch. Anhand dendrochronologischer Untersuchungen der entnommenen Holzproben konnte für die Inselsiedlung eine relativ kurzfristige Bautätigkeit zwischen 3723 und 3719 v. Chr. nachgewiesen werden. Besonderes Interesse weckte vor allem die im Vergleich zum Keramikgut überdurchschnittliche Zahl an Kupferartefakten, die mit einem Flachbeil, einer Ahle sowie mit einem triangulären Dolch vertreten sind. Metallurgische Analysen am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg wiesen dem verwendeten Rohmaterial ein Ursprungsgebiet im Salzkammergut, dem Verbreitungsgebiet der nordostalpinen Mondseegruppe zu. Gleichzeitig zeigte der trianguläre Dolch von Kempfenhausen (sog. Dolch vom Typ Cucuteni) typologische Gemeinsamkeiten mit Vergleichsexemplaren aus dem Donau- und Karpatenraum. Ein nahezu identisches Exemplar fand sich aber auch in der nahezu zeitgleichen Siedlung Reute-Schorrenried im westlich benachbarten Oberschwaben. Die Keramikformen von Kempfenhausen lassen sich einerseits an die Pfyn-Altheimer Gruppe Oberschwabens angliedern. Andererseits zeigen bestimmte Verzierungselemente (z. B. Sonnenrad) erneut Verbindungen zur östlich gelegenen Mondseegruppe an. Aufgrund dieser offensichtlichen Existenz von unterschiedlichen kulturgeographischen Einflüssen im Fundgut der Pfahlstation von Kempfenhausen wurde der Siedlung eine Art Mittlerfunktion im wirtschaftlichen Gefüge des Jungneolithikums am Fuße der Alpen eingeräumt. Gerade im Handel und Vertrieb mit dem neuen Werkstoff Kupfer könnte die Siedlung eine wichtige Rolle gespielt haben.

 

Vor allem die eingehenden Untersuchungen im Rahmen einer stratigraphischen Grabung in den Jahren 1998-2000 erweiterten das Wissen um die Entstehung und Bauweise der Pfahlstation von Kempfenhausen. Der Fund eines 1,80 Meter langen Spaltholzes mit einer 15 x 20 Zentimeter großen Aussparung und anhand von Vergleichen mit ähnlichen Konstruktionshölzern (z. B. aus der jungsteinzeitlichen Siedlung Ödenahlen am oberschwäbischen Federsee oder aus der Moorsiedlung von Thayngen-Weier im Kanton Schaffhausen in der Schweiz) ließ die Rekonstruktion der Siedlung als sog. Stelzbau zu. Eine 1999 durchgeführte Blockbergung im Bereich der mit der Siedlung assoziierten Kulturschicht ermöglichte dabei einen interessanten Neufund. Nach restauratorischer Bearbeitung (Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege / Frau Nowak-Böck) gab der geborgene Sedimentblock eine fragmentierte dunkelbraune Schnur mit insgesamt 6 Knoten zu erkennen. Sie ist aus Bastmaterial eines Laubbaumes gefertigt, weist eine Stärke von 0,8 bis 1,1 Zentimetern auf und besteht wiederum aus zwei z-gedrehten Garnsträngen (Stärke: 0,5 bis 0,6 Zentimeter). Unter Berücksichtigung aller freigelegten Schnurfragmente konnte eine Gesamtlänge von fast zwei Metern rekonstruiert werden. Bei eingehender Betrachtung der Knoten zeigten sich einerseits einfache Exemplare, bei denen ausschließlich die dokumentierte Schnur selbst und die beiden verwendeten Garnstränge in unterschiedlicher Schlaufenführung an der Knotenbildung beteiligt sind. Andererseits wiesen die anderen drei komplexen Knoten Bestandteile von weiteren Schnurresten auf. Trotz der beeindruckenden Gesamtlänge des Textilmaterials lässt sich der ursprüngliche Verwendungszweck nicht mehr rekonstruieren. Zumindest deuten die komplexeren Knoten auf eine Verknüpfung zu weiteren Textilmaterialien hin.

 

Aufgrund der guten Erhaltungsumstände im Feuchtbodenareal jungsteinzeitlicher Ufersiedlungen haben sich im zirkumalpinen Raum Tausende von Textilfunden erhalten. Meist handelt es sich jedoch um nicht näher zu spezifizierende Fragmente, deren ursprünglicher Verwendungszweck nicht mehr erschlossen werden kann. Größere und vollständig erhaltene Textilstücke stellen hier durchaus eine Rarität dar. Am zahlenmäßig häufigsten sind noch Körbe, Netze und mattenartige Geflechte vertreten. Ein kleines Täschchen und Reste eines Schnurrocks aus der Siedlung Hornstaad-Hörnle I am Bodensee oder Funde von Sandalen aus einer Siedlungsschicht der Horgener Kultur in Allensbach sind seltene Überraschungsfunde, die uns einen Einblick in die neolithische Tracht gestatten. Hierunter reihen sich auch einzelne Funde von hutartigen Kopfbedeckungen ein, wie sie uns aus der Siedlung Hornstaad-Hörnle I und Wangen-Hinterhorn überliefert sind. Auch in einer Brandschicht (Datierung 3491 v. Chr) der altheimerzeitlichen Feuchtbodensiedlung Pestenacker (Lkr. Landsberg a. Lech, Oberbayern) blieb eine Art Spitzhut erhalten, der sich jedoch in Form und Ausarbeitung von den Kopfbedeckungen des Bodensees unterscheidet. Auch wenn der organische Schnurfund von Kempfenhausen nicht mit den Groß-Textilfunden des Bodensees oder von Pestenacker verglichen werden kann, stellt er doch immerhin aufgrund seiner stratigraphischen Datierung (ca. 3723-3719 v. Chr.) das bislang älteste Schnurfragment Bayerns dar.

 

 

Tobias Pflederer

 

 

 

Literatur:

A. Feldtkeller / H. Schlichtherle, Jungsteinzeitliche Kleidungsstücke aus Ufersiedlungen des Bodensees. Arch. Nachr. Baden 38/39, 1987, 74 ff.

A. Bartel / G. Schönfeld, Wetterfest und warm: Ein jungneolithischer Spitzhut aus Pestenacker. Arch Jahr Bayern 2004 (Stuttgart 2005) 35 ff.