Bodensee 2005 - "Forschung in der Forschungslücke"

Kartiert man die bislang bekannten Seeuferrandsiedlungen des Bodensees, so wird eine Lücke vergleichbarer Befunde vor allem im bayerischen, aber auch im österreichischen Teil des Bodensees deutlich. Auch Wrackfunde fehlen bislang völlig im bayerischen Bodenseebereich, obwohl gerade in Nähe des Inselhafens von Lindau von einer starken Frequenz hinsichtlich des Schiffs- und Bootsverkehrs seit Jahrhunderten auszugehen ist. Vor dem Hintergrund eines geplanten Neubaus des Güterbahnhofes von Lindau, welcher der sogenannten Galgeninsel, einem Uferbezirk mit prähistorischen Altfunden, unmittelbar vorgelagert ist, erfolgte im Februar 2005 eine großflächig angelegte Prospektion des bayerischen Bodenseeufers mittels Echolot, Sidescan-Sonar, Sedimentbohrungen und gezielten Tauchgängen. Die Kampagne wurde durch die Bayerische Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V. (BGfU) in enger Kooperation mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) / Außenstelle Schwaben durchgeführt und gliederte sich in drei Phasen:

 

Zunächst erfolgte die Suche nach Hinweisen für eine mögliche prähistorische Besiedlung des nördlichen Bodenseeufers im Bereich der Galgeninsel vor Lindau. In einem zweiten Abschnitt wurden noch vorhandene Pfahlstellungen auf der West- und Ostseite der Insel Lindau analysiert. Den Abschluss der Kampagne bildete die Suche nach potentiellen Wrackfunden im bayerischen Uferrandgebiet.

 

Prospektionen an der Galgeninsel

Von Tröltsch berichtet Anfang des 20. Jahrhunderts in seiner Monographie "Die Pfahlbauten des Bodensees" von Überresten einer Pfahlstation unfern von Aeschach bei Lindau zwischen der Villa Amsee und der Mündung des Rickenbaches, einem Areal, das dem heutigen Gebiet beidseits der Galgeninsel am Nordufer des Bodensees entspricht. Von Tröltsch führt außerdem Pfahlbaugeräte der Stein- und Bronzezeit an, hierunter zwei Schaftlappenbeile sowie eine Gussform für Bronzenadeln, die im Bereich der Galgeninsel bzw. im Seeuferbereich vor Lindau aufgefunden worden sein sollen. Die Augsburger Allgemeine Zeitung vom 01.07.1858 weiß sogar von insgesamt 17 (!) Pfahlbauten zu berichten, die bei Lindau und Bregenz entdeckt worden sein sollen. Eine Angabe, die sicherlich im Rahmen des vorherrschenden Pfahlbaufiebers zu interpretieren ist und die auch einfachste Fischriese und Stegüberreste in den Status einer Pfahlstation erhob.

Aufgrund von geplanten Umbaumaßnahmen im Bereich des Güterbahnhofes von Lindau, der sich in nur 50 bis 100 Meter Entfernung zur erwähnten Galgeninsel befindet, wurden Tauchgänge sowie Sedimentbohrungen in diesem Bereich durchgeführt. Die Prospektionstauchgänge erbrachten in einer Tiefe von bis zu 10 Metern keinerlei Hinweise für Pfahlbaureste. Es zeigte sich lediglich ein massives Paket von Oberflächenschlick und Seekreide. Sogar rezente Objekte waren kaum vorhanden. Auch Sedimentbohrungen im nahen Uferbereich der Galgeninsel erbrachten in einer Bohrtiefe von bis zu drei Metern keinerlei Hinweise auf anthropogen beeinflusstes Material bzw. auf Kulturschichten. Anders als im westlichen Bodenseeareal ist im bayerischen und österreichischen Teil sicherlich von einer höheren Sedimentationsrate durch die zuführenden Flüsse dem Rhein, dem Rheinkanal und der Bregenzer Ach auszugehen. Messungen ergaben im Mündungsbereich des Rheinkanals eine Akkumulationsrate von ca. 1 Meter pro Jahr und dürften damit Ausdruck des massiven Niederschlags an Sedimenten auch in den unmittelbar benachbarten Gebieten, wie z. B. dem gegenüberliegenden bayerischen Bodenseeufer sein. Kulturschichten bzw. die angesprochenen Pfahlbaureste dürften damit bereits in verlandeten Bereichen bzw. unter starken Sedimentlagen zu vermuten sein. Interessanterweise erwähnt auch schon v. Tröltsch die Lage der Pfahlbaureste "jetzt vermuthlich im angeschwemmten Lande...".

 

 

Pfahlreste im Bereich der Insel Lindau

Gerade in den kalten Wintermonaten sind bei niedrigem Wasserstand mehrere Pfahlreihen um die Insel Lindau zu beobachten. Diese konzentrieren sich vor allem nördlich der ehemaligen Gerberschanze auf der Ost- sowie im Bereich des Pulverturms auf der Westseite der Insel. Die Pfahlreihe vor dem Pulverturm verläuft auf einer Länge von ca. 50 m parallel zur heutigen Uferlinie und beschreibt danach einen Bogen in nordöstlicher Richtung, bevor sie auf das heutige Ufer trifft und dort endet. Unter Wasser präsentiert sich diese Pfahlstellung als eine Art Palisade, deren Stärke durch bis zu 10 hintereinander stehende Pfähle bestimmt wird. Die Pfähle selbst überragen infolge von Erosionsvorgängen den Seegrund um 0 bis ca. 40 cm und bestehen ohne Ausnahme aus Weichhölzern mit vielen Koniferen. Die Pfahlspitzen sind zugesägt und dürften daher einer neueren Zeitstellung angehören.

Katasterkarten aus dem Jahr 1823 zeigen eine die gesamte Insel umgebende Pfahlstellung im Vorfeld der ehemaligen Uferlinie, welche auch auf zeitgenössischen Darstellungen des 19. Jahrhunderts deutlich zu erkennen ist. Die untersuchten Hölzer vor dem Pulverturm dürften diesem Pfahlsystem angehört haben. Aufschüttungsmaßnahmen für einen neuen Parkplatz westlich der heutigen Bahnlinie führten im 20. Jahrhundert zu einer Zerstörung eines Großteils der alten Pfahlstellungen im Nordwesten der Insel. Dadurch lässt sich auch das abrupte Ende der Pfahlreihe wenige Meter nördlich des Pulverturms erklären.

Auch die jedoch nur aus einer Reihe bestehende Palisade an der Ostseite der Insel nördlich der Gerberschanze dürfte dem umlaufenden Pfahlsystem der Insel Lindau angehört haben. Diese Pfahlreihe deckt sich ebenfalls mit den alten Katasterplänen aus dem Jahr 1823. Anlässlich des in den Jahren 1811 / 1812 neu angelegten Hafens beschreibt Carl Friedrich Wiebeking in seiner "Description au Port près de Lindau sur le lac de constance" die Pfahlreihen als Wellenbrecher: "Sie reichen einige Schuhe über den höchsten Wasserstand, und sollen die Stadtmauer gegen den Anfall der Wellen, die auf diesem schönen Landsee acht Schuh hoch und höher auflaufen, schützen". Bereits die erste realistische Darstellung der Insel Lindau von Gasser und Münster im Jahre 1550 zeigt die für das Erscheinungsbild der Insel Lindau typischen Pfähle, die rings um die Insel führen und in ihrer Funktion durchaus auch als Annäherungshindernisse für feindliche Schiffe denkbar sind.

 

Eine absolute Zeitstellung der Hölzer konnte mittels dendrochronologischer Methoden aufgrund der zu geringen Jahrringzahlen leider nicht ermittelt werden. Eine Datierung in jüngere Zeit ist aber aufgrund der zugesägten Pfahlspitzen anzunehmen. Im Rahmen der durchgeführten Prospektionstauchgänge gelang in unmittelbarer Nähe zu den erwähnten Pfahlresten an der Gerberschanze an der Ostseite der Insel zu geringem Teil eingebettet in ein steriles Seekreidepaket der Zufallsfund eines ca. 80 cm großen Statuenfragmentes mit erhaltenem Kopf und Oberkörper sowie mit erhaltenem linkem Arm. Die Statue ist aus Steingut gefertigt und weist damit ebenfalls in eine jüngere Zeitstellung. Sie ist als Jüngling mit nach links geneigtem Blick, schulterlangem, gewelltem Haupthaar und einem am Hinterkopf zusammengebundenen Lorbeerkranz anzusprechen. Aufgrund der Sedimenteinbettung der rechten Gesichtshälfte ist diese besser erhalten und lässt dadurch die ursprüngliche Bemalung der Augenpartie sowie Reste einer Goldauflage am Haaransatz noch deutlich erkennen. Die nach innen geneigte und fein ausgearbeitete linke Hand könnte eine Lyra oder ein Füllhorn getragen haben. Das betreffende Objekt scheint durch Metallnägel im Inneren des Torso befestigt worden zu sein. Detailgetreue Darstellungen, wie z. B. der Venen am linken Ober- und Unterarm oder der Halsmuskulatur (musculus sternocleidomastoideus dexter) vermitteln eine lebensechte Darstellung der betreffenden Figur. Die kunsthistorische Einordnung der Statue ist momentan noch nicht abgeschlossen. Nach Restaurierung derselben ist ein Verbleib im Stadtmuseum von Lindau geplant.

 

Auf Wracksuche zwischen Lindau, Bregenz und Nonnenhorn

Verschiedene Quellen erwähnen Schiffshavarien im bayerischen Teil des Bodensees. Die annales lindavienses, die Lindauer Stadtchronik, berichten beispielsweise von einem Schiffsunglück vor Nonnenhorn am Nordufer des Sees im Jahr 1601: "Am 16. January [1601] ward ein großer Schiffbruch auf dem Bodensee bei Nonnenhorn. Ertrunken Hans Stör, Jörg Lauber von Lindau undander mehr bis in 10 Manns und Weibsperson" (STADTARCHIV LINDAU, Lit 25). Ebenso finden zwei Schiffsuntergänge vor Lindau in den Jahren 1602 und 1617 Erwähnung.

Als gängiger Schiffstypus des Mittelalters ist diesbezüglich die Lädine und der Segner überliefert, Schiffe von bis ca. 30 Metern Länge und kraweeler Beplankung sowie einem einzigen Mast mit Rahsegel und als Besonderheit mit einem seitlichen Steuerruder auf der Backbordseite. Aufgrund ihrer hohen Tragkraft wurden sie vor allem als Transportschiffe (zum Salzhandel) eingesetzt. Doch es existieren auch Berichte von Schiffsunglücken in neuerer Zeit: Im Jahr 1887 sank das bayerische Dampfschiff, die Stadt Lindau, nach Kollision mit dem österreichischen Dampfschiff Habsburg. Drei Personen kamen bei diesem Schiffunglück ums Leben. Nur unter großem Arbeitsaufwand konnte das stark beschädigte Lindauer Dampfschiff wieder gehoben werden. Aufgrund der starken Beschädigung des Schiffes war jedoch eine erneute Inbetriebnahme nicht mehr möglich. Es blieb nur noch die Verschrottung.

 

Ausgehend vom Inselhafen Lindau erfolgte eine systematisch angelegte Prospektion mittels Echolotfahrten sowie mittels Sidescan-Sonar (Forschungsschiff Kormoran des Institutes für Seenforschung Langenargen, Dr. Wessels) in Richtung Bregenz sowie vor allem entlang des nördlichen Bodenseeufers in Richtung Westen bis zur bayerisch baden-württembergischen Grenze. Erwartungsgemäß lieferten vor allem die Daten des Sidescan-Sonars interessante Ergebnisse, so z. B. das Sonarecho einer ca. 10 Meter langen und konvexbogigen Struktur in ca. 50 bis 60 Metern Wassertiefe, die durchaus mit einem Schiffsrumpf zu vereinbaren ist. Tauchgänge zum beschriebenen Objekt wurden aufgrund der Wassertiefe nicht durchgeführt. Weitere Untersuchungen mittels ferngesteuerter Tauchkameras befinden sich in Planung. Bei weiteren Fahrten konnte im Sidescan-Sonar ein rechteckiges, ca. 13 x 8 Meter großes Objekt in ca. 20 Metern Wassertiefe ebenfalls vor dem nördlichen Bodenseeufer zwischen Lindau und Nonnenhorn entdeckt werden. Gezielte Tauchgänge zeigten, dass es sich hierbei um eine 13,9 x 7,6 Meter große Arbeitsplattform aus massiven Stahlträgern und einer Bretterauflage handelte. Eine Längsseite war mit insgesamt drei Stahlwinden versehen. Die gegenüberliegende Längsseite wies zwei stählerne Leinenpflöcke auf.

 

Zusammenfassend bleibt Folgendes festzuhalten: Hinweise für eine prähistorische Seeuferrandsiedlung im Bereich der Galgeninsel am Nordufer des Bodensees bei Lindau konnten im Rahmen der durchgeführten Prospektionen nicht erbracht werden. Befunde in größeren Sedimenttiefen bzw. im verlandeten Bereich der Uferzone sind jedoch nicht auszuschließen. Im Bereich der Insel Lindau konnten Reste der ehemaligen Pfahlumwehrung dokumentiert werden, die bereits in der ersten realistischen Darstellung der Insel von Gasser und Münster im Jahre 1550 dargestellt sind. Entlang des nördlichen Bodenseeufers zwischen Lindau und Nonnenhorn gelang die Entdeckung einer bislang unbekannten, neuzeitlichen Arbeitsplattform mit drei Stahlwinden durch Einsatz eines Sidescan-Sonars.

 

 

Tobias Pflederer