In den Gewässern um Mozia fand im Juli 2018 die dritte unterwasserarchäologische Kampagne in Folge statt. Über die letzten Jahre hinweg hatte sich eine enge Kooperation zwischen der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e.V. (BGfU) und der Soprintendenza del Mare, Palermo, Sizilien entwickelt. Das BGfU-Team setzte sich zusammen aus Daniel Anton, Christin Faust, Jakub Jedrzejewski, Gerd Knepel, Eric Kressner, Sascha Kröger, Daniel Neubauer, Jürgen Reitz, Rebecca Schaffeld, Marike Stöver sowie Detlef E. Peukert und Max Fiederling, die die organisatorische Leitung übernahmen. Die sizilianischen Partnerinnen vor Ort waren soprintendente dott.ssa Adriana Fresina, dott.ssa Francesca Oliveri und dott.ssa Antonella Leda Lo Porto. Die Datierung der punischen Keramik übernahm dott.ssa Maria Pamela Toti von der Fondazione Giuseppe Whitaker. Die Guardia di Finanza Trapani stellte ein Boot sowie weitere Taucher zur Verfügung. Fürsorglich erhielten die BGfU-ler wieder Unterkunft und Verpflegung von den Einwohnern von Mozia.
Nach den im Vorjahr gefundenen Hinweisen auf einen unbekannten römischen Ankerplatz bestand das diesjährige Hauptziel der Kooperation darin, Belege für punische Kulturschichten im Sublitoral der Insel zu erkennen und Indikatoren für einen punischen Schiffsanleger zu suchen. Diesem Ziel sollte sich in folgenden Schritten genähert werden:
1. Bohrtransekte
Im Flachwasserbereich des Nord-, Süd- und Westtors sowie vor dem Ostturm wurden systematische Bohrproben in bis zu 3 m Tiefe sowie in 20-30 m seewärts verlaufenden Bohrfluchten im Abstand von 1, 2 oder 5 m vorgenommen. Als entscheidender zeitlicher Marker stellte sich glazialer Blauton (VI) “greyish blue clay” bzw. „argille siltose e sabbie fini grigio-azzurre (MRSe)“ aus dem Unteren Pleistozän heraus, einem bezüglich seiner Korngrößenverteilung schluffigen und sehr schwach sandigen Ton mit ausgeprägter Plastizität und hoher Bildsamkeit. Dadurch konnten die über ihm liegende natürliche, die fundtragende historische Schicht und die über dieser lagernden Sedimente eingeordnet und verglichen werden. Unter einer meist von einer Seegras-Gesellschaft (Posidonietum oceanicae) besiedelten Schlickschicht (I) folgten meist zwei weitere Schichten aus sandigem Ton (II) und tonigem Sand (III), letztere von reichlich Molluskenschalen durchsetzt. Unter dieser Schicht fanden sich an der Sondage unweit des Ostturms punische Scherben, die sich vom späten 6. bis zum frühen 4. Jahrhundert v. Chr. datieren ließen sowie Essensreste (Knochen, Austernschalen) (IV). Unterhalb dieser folgte eine zweite Schicht aus tonigem Sand, allerdings mit weit weniger Molluskenschalen (V), die nach unten an den glazialen Blauton (VI) anschloss.
Die Analyse der Bohrungen unter Einbezug der beiden Sondagen ergab einen sukzessiven Anstieg der oberen Blautongrenze und damit eine entsprechende Abnahme des aufliegenden Sediments von der submersen Straße im Norden über die Ostseite bis zum Kothon im Süden um ca.60 %. Das bedeutet, dass an der SW-Ecke der Insel nur noch 40 % der Mächtigkeit der Sedimentauflage auf dem Blauton zu finden war, die auf der NO-Seite an der punischen Straße zu finden war. Dieser Befund lässt sich mit der seit Ende des Altpleistozäns weitgehend ungehinderten Strömung zwischen den nördlichen (einschließlich der diskutierten historischen Kanäle, der sog. fretra) und den südlichen Öffnungen der Lagune auf der Westseite Mozias erklären, während die Strömung auf der Ostseite durch die zu ihr quer liegende punische Straße stark behindert ist. Die Schichtfolgen gaben außerdem Hinweise auf die natürlich bedingte Sedimentationsgeschwindigkeit bis zur Schicht punischer Scherben und die anthropogen beeinflusste darüber.
2. Sondagen und stratigrafische Analysen
Am modernen Pier (embarcadero) auf der Ostseite der Insel erfolgte eine kleinflächige (1,0 x 1,5 m große) Unterwassersondage, um die Frage nach einem antiken Vorgänger des heutigen Piers zu klären. Mit Rücksicht auf den Fährverkehr sowie im Hinblick auf die Sicherheitsregeln und -richtlinien der Kommission Forschungstauchen Deutschland (KFT), waren Tauchgänge nur zwischen 19:30 und 21:30 sowie morgens zwischen 6:00 und 8:00 Uhr möglich. Die Nachtgrabung wurde unter Zuhilfenahme von Unterwasserbeleuchtung durchgeführt. Es konnten insgesamt 5 Plana dokumentiert werden. Dabei zeigten sich folgende Schichtabfolgen: Im Planum 0 fand sich - wie zu erwarten - eine Ansammlung von modernem Abfall, darunter auch ein Hundeschädel sowie die zuvor an dieser Stelle gefundene Mischung aus punischer bis vereinzelt kaiserzeitlicher und spätrömischer Keramik. Diese Schuttschicht aus rezentem und antikem Material endete nach ca. 10 cm. Es folgte ein steriler Sedimenthorizont (Planum 1), der durch Ablagerungen gekennzeichnet war. In Planum 2 konnte anschließend 12 cm unter dem Meeresboden (und in einer Wassertiefe von durchschnittlich 140 cm) eine geschlossene Schuttschicht von punischem Scherbenmaterial dokumentiert werden, das aus Fragmenten von Amphoren und Gebrauchskeramik bestand. In diese Schicht eingebettet gelang zudem die Dokumentation einer Bronzemünze, welche trotz des sehr schlechten Erhaltungszustandes vor allem aufgrund ihres Durchmessers einem griechischen Ursprung zuzuweisen war. In der folgenden stratigrafischen Schicht (Planum 3) konnte 27 cm unter dem Meeresbodenniveau (= 155 cm Wassertiefe) eine durchgehende Schicht aus homogenem, kompakt zusammenhängendem Schwemmsediment, sowie aus größeren Steinen und massenhaftem Vorkommen junger Turmschneckenschalen (Turritellidae) dokumentiert werden. Dieses stellte einen natürlichen Horizont dar und lag auf der nächsten und letzten Schicht (Planum 4) auf. 42 cm unter dem Meeresbodenniveau (170 cm Wassertiefe) endete das Sediment auf dem anstehenden Kalkstein des sterilen Lagunengrunds, der in seiner Oberfläche natürliche Vertiefungen von 10 bis 20 cm Durchmesser aufwies.
Mit dieser Sondage ließ sich dokumentieren, dass zum einen unter dem heutigen embarcadero weder ein Pfahlrost noch andere antike Strukturen liegen und ein entsprechender antiker Anleger entweder in den dokumentierten Pfahlstrukturen zu suchen ist, oder sich an anderer Stelle befunden haben muss. Ausgeschlossen werden kann außerdem ein kaiserzeitlicher oder gar spätantiker Nutzungshorizont im Bereich der Sondage. Dafür konnte eine münzdatierte punische Schicht erfasst werden, welche einen Nutzungshorizont an dieser Stelle (ein antikes Niveau der Lagune) der Zeitspanne vom späten 6. bis zum frühen 4. Jahrhundert v. Chr. belegt. Da an der Oberfläche im gleichen Bereich u.a. im Vorjahr das Fragment eines kaiserzeitlichen Bleiankerstocks, sowie weitere Funde gemacht wurden, die im Kontext eines Piers stehen, kann der punische Horizont mit seinen Fragmenten von Amphoren in ein solches Umfeld als Arbeitshypothese verortet werden. Um diese Annahme zu bestätigen oder zu widerlegen, müssen weitere Untersuchungen angestellt und die Sondage ausgedehnt werden.
Südlich des Osttores wurde eine zweite Sondagegrabung innerhalb einer Reihe von sieben isoliert stehenden, 10 cm unter der Wasseroberfläche befindlichen Rechtecksteinplatten angelegt. Die Steinplatten wiesen eine Länge von 100-200 cm, eine Breite von ca. 120 cm Breite sowie ein errechnetes Gewicht pro Platte von über 2 Tonnen auf und verliefen 19 m vom Ufer entfernt bis 35 m in die Lagune hinein. Unterhalb einer verkippten Deckplatte brachte eine 130 cm tiefe Sondage bis auf den anstehenden Kalkstein ein Grobsteinfundament von drei bis vier Schichten mittelgroßer Rohsteine zutage. Hier fand sich eine ca. 8 cm mächtige dichte Schuttschicht aus punischem Scherbenmaterial, das sich aus 11 Rand- und 50 Wandfragmenten zusammensetzte. Diese Scherben konnten in das späte 6. bis ins frühe 4. Jahrhundert v. Chr. datiert werden. Sie waren im Sediment vor dem Decksteinfundament lokalisiert. Das darunter befindliche Sediment zeigte sich dann „archäologisch steril“ bis hinab auf das anstehende Kalkgestein. Aufgrund ihrer Lage neben den Steinfundamenten dürften die Scherben zeitlich nach Errichtung des Fundamentes und der über 2 Tonnen schweren Decksteinauflage abgelagert worden sein. Denkbar ist, dass des sich bei den Keramikfragmenten um „Verlustmaterial“ vom Laufniveau der Decksteinplatten handelt.
Zur Untersuchung und Berechnung unterschiedlicher Sedimentationsgeschwindigkeiten wurde in den Bohrungen und Sondagen zwischen zwei zeitlichen Phasen differenziert. Zum einen wurde die Sedimentation vom Blauton bis zur punischen Schicht berücksichtigt, also eine „prä-punische“ Sedimentation. Zum anderen wurde eine Sedimentation ab Beginn der punischen Besiedlung untersucht, die durch die dokumentierte punische Schicht bis zum heutigen Niveau des Meeresbodens definiert ist. Die Sedimentationsstärken der beiden zeitlichen Phasen und die daraus kalkulierten Sedimentationsgeschwindigkeiten wurden miteinander verglichen. Unter Vorbehalt ergaben sich dabei folgende Berechnungen und Beobachtungen: Die „prä-punische Phase“ vom Ende des Altpleistozäns (781 Ka BP) bis zur punischen Schicht (ca. 2500 BP = 778,5 Ka) zeigte eine Sedimentstärke von 1300 mm. Die Sedimentationsgeschwindigkeit dieses Abschnitts betrug demnach 1,67 mm/Ka, während sich über der punischen Schuttschicht das 50 cm mächtige Sediment mit einer Geschwindigkeit von 200 mm/Ka sammelte. Daraus resultiert eine Erhöhung der Sedimentationsgeschwindigkeit oberhalb der punischen Schuttschicht um das mindestens ca. 120-fache. Diese Werte weisen auf eine drastische Veränderung der Umweltbedingungen ab punischer Zeit in der Lagune hin, die durch die Errichtung der punischen Straße während des 6. und 4. Jh. n. Chr. und durch deren Eingriff in die natürlichen Strömungseigenschaften der Lagune ausgelöst worden sein könnte.
3. Heute submerse punische Straße
Während einer Begehung der maximal hüfttief unter der Wasseroberfläche liegenden und 1,7 km langen punischen Straße zum Festland wurde die Wassertiefe an beiden Rändern und in der Mitte im Abstand von jeweils ca. 30 Schritten sowie auf einer Strecke von ca. 300 m bestimmt. Die Messungen erfolgten in einem ersten Abschnitt mit dem originalen Steinpflaster sowie danach in einem zweiten, das das originale Pflaster nicht mehr aufwies. Die Messungen ergaben Hinweise auf die Dicke des Steinpflasters. Auf der Ostseite der Straße betrug die durchschnittliche Differenz zwischen gepflasterter und ungepflasterter Strecke ca. 20 cm, auf ihrer Westseite ca. 10 cm sowie in der Mitte ca. 20 cm. Das Pflaster dürfte also aus nur einer Lage quaderförmiger Steine bestanden haben. Ein größerer Stein, der auf der Ostseite der Straße stand, wies tiefe Wagenspuren auf. Im ersten Drittel der Straße – ausgehend von der Insel Mozia – wurde auf der Westseite der Straße eine zylinderförmige Säule gefunden (Durchmesser ca. 30 cm, Länge ca. 80 cm). An ihren Oberflächen waren Nuten zur Montage einer weiteren eingelassen.
4. Feldsurvey und Bronzepfeilspitzenfunde
Westlich der punischen Straße fanden sich Pfeilspitzen, die aus dem Kampf um Mozia 397 v. Chr. durch Dionysios I. von Syrakus stammen könnten. Deren Lage wurde jeweils georeferenziert, fotografiert, Positionen von Spitze und Schaftende registriert und mit dem verfügbaren Museumsmaterial verglichen. Dreiflügelige Pfeilspitzen wurden nordwestlich und blattförmige mit Widerhaken südorientiert dokumentiert, was auf verschiedene Kampfrichtungen hindeuten könnte.
5. Dokumentation von Holzpfahlresten
2017 wurden 40 Pfahlreste vor dem modernen Pier dokumentiert. Ihre geringe Jahresringzahl verhinderte bislang eine dendrochronologische Datierung. In der diesjährigen Kampagne konnten weitere 60 im Seeboden steckende Pfahlreste georeferenziert werden, darunter sechs Riemenfragmente, die als Pfähle Sekundärverwendung fanden. In pfeilförmiger Reihung Richtung Ufer und mit ihrem ursprünglich aus dem Wasser ragenden Ruderblatt könnten sie als Signalpfosten gedient haben. Die Holzproben werden derzeit dendrochronologisch untersucht.
Zusammenfassung, Interpretation und Schlussfolgerung
• Am modernen Ostanleger erbrachte die Sondage auf einem ca. 12 cm unter dem Meeresboden liegenden Niveau eine punische Kulturschicht mit Amphoren- und Gebrauchskeramik. In diese eingebettet konnte eine griechische Bronzemünze dokumentiert werden.
• Auch die Sondage am Steinplattenfundament am Ostturm, das aufgrund seiner Entfernung vom Ufer (28 m) und seines Gewichts (> 2 t) keinen Bezug zur umgestürzten Stadtmauer haben dürfte, fand sich eine punische Kulturschicht mit Amphoren- und Gebrauchskeramik gleicher Datierung.
• Die fundamentierten Deckplatten dürften Überreste einer punischen Struktur sein. Als ursprünglicher Zweck dieser Struktur lässt sich ein Bootsanleger oder ein Zugang zum hinter der Stadtmauer befindlichen Handwerkerviertel vermuten. Zur Überprüfung dieser Hypothese sind weitere Untersuchungen erforderlich.
• Die Massen von Molluskenschalen 27 cm unter dem Meeresboden in der Sondage am embarcadero und in der Schicht III am Osttor in einer Tiefe von 30 bis 60 cm unter dem Meeresboden dürften Hinweise auf Strömungsveränderungen in der Lagune nach dem Bau der punischen Straße sein, in deren Folge es zu einer Versandung des Steinplattenfundaments (bzw. potentiellen Bootsanlegers) gekommen sein könnte. Darauf weist auch das von Nord nach Süd um ca. 60% abnehmende Auflagesediment über dem Blauton hin.
• Auf Basis der Bohrungen und der Sondagen wurde die Sedimentationsgeschwindigkeit zwischen der Oberkante des Blautons und der Schuttschicht punischer Scherben auf der Ostseite Mozias mit dem oberhalb dieser bis zum Seeboden verlaufenden ca. 50-60 cm mächtigen Sediment verglichen. Bezogen auf das Ende des Altpleistozäns, lässt sich die Sedimentationsgeschwindigkeit vor dem Bau der heute submersen punischen Straße auf 1,7 mm/Ka kalkulieren, woraus ein Anstieg der Sedimentationsgeschwindigkeit oberhalb der Schicht punischer Scherben um das ca. 120-fache resultiert. Dementsprechend weist die Erhöhung der Sedimentationsgeschwindigkeit nach dem Bau der punischen Straße auf eine Veränderung von Umweltbedingungen in der Lagune hin, die für deren drastische Zunahme verantwortlich sein kann.
Detlef E. Peukert M.A., Dipl.-Biol., Dipl. Foreshore & Underwater Arch.; Max Fiederling M.A.; Jürgen Reitz Stud. Arch.Wiss.; Eric Kressner B.A.