Im Jahr 2015 erfolgte eine erste Kontaktaufnahme zwischen der BGfU und der für die rumänische Dobrudscha zuständigen archäologischen Behörde, dem Institutul de Cercetari Eco-Muzeale in Tulcea (ICEM). Aus einer Vielzahl von unterwasserarchäologischen Fund- und Siedlungsstätten an der Donau, diversen Binnenseen und dem Schwarzen Meer wurden vier Bereiche ausgewählt, die vorrangig prospektiert und genauer erforscht werden sollten. Dies mündete in einen Kooperationsvertrag zwischen der BGfU und dem ICEM. In 2016 wurden die Vorhaben in die Tat umgesetzt. Die taucharchäologischen Prospektionen konzentrierten sich unter anderem auf den limnologischen Bereich vor der griechisch-römischen Siedlung Argamum, sowie auf die Insel Bisericuţa, die beide am bzw. im Razim-See gelegen sind. Der Razim-See ist als ehemalige Bucht des westlichen Schwarzen Meeres zu interpretieren. Er wurde durch zunehmenden Sedimentauftrag vom Meer getrennt und stellt heutzutage einen flachen, lagunenartigen Binnensee im Hinterland des Schwarzen Meeres dar. Im Norden wird er durch die Donau mit ihrem südlichsten Arm, dem Sfântu-Gheorghe-Arm, gespeist. Bei Gura Portiţa mündet der See in das Schwarze Meer. Durchaus aufschlussreiche Untersuchungen vor Argamum und der Insel Bisericuţa unterstützten die landseitigen archäologischen Forschungen des Institutes für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie der LMU München. In den erhobenen Sidescan-Sonardaten konnten Rückschlüsse auf mögliche Einfahrten in den Hafen von Argamum gezogen werden. An der Insel Bisericuţa ließ sich eine bislang taucherisch noch nicht verifizierte, mauerartige Struktur am Scheitel des langgezogenen Eilands ausmachen.
Nach diesen Ergebnissen im Razim-See wandte man sich dem marinen Gebiet des Schwarzen Meeres vor Gura Portiţa zu, deren Name bereits Rückschlüsse auf antike Handelswege vermuten lässt. „Gura“ auf Deutsch „Mund“ und „Portiţa“ als „Schlupfloch“ übersetzt dürften auf eine enge Gewässerverbindung zwischen der großen Meeresfläche und dem heutigen Razim-See hindeuten. Durch diesen hatten Schiffe vom Schwarzen Meer zu den antiken Küstenstädten, wie Argamum, gelangen können. Darüber hinaus dürfen antike schiffbare Wege von der Razim-Bucht zur Donau und umgekehrt bestanden haben.
Vor diesem Hintergrund führten BGfU und ICEM mit Unterstützung der LMU München Sidescan-Sonarfahrten vor der Küste bei Gura Portiţa durch. Als wichtigste Informationsquelle erwiesen sich Erzählungen eines ortsansässigen Fischers. Er beschrieb einen Bereich, bei dem er mehrfach mit seinen Fangnetzen hängen geblieben war und wo er des Öfteren in den zerstörten Netzen Scherben entdeckt hatte. In deutlicher Entfernung zur heutigen Küstenlinie ließ dann bereits die erste Sonarfahrt an der beschriebenen Stelle ein Wrack erkennen, das unmittelbar anschließend taucharchäologisch verifiziert werden konnte. Das Wrack wurde nach dem Fischer benannt, der die entscheidenden Hinweise gab. Zum Zwecke einer möglichst umfassenden Bestandsaufnahme und Gefährdungsanalyse des Wracks erfolgten noch 2016 erste genauere unterwasserarchäologische Untersuchungen.
Das aus rund 8000 Einzelbildern erstellte Fotomosaik zeigt ein in nahezu paralleler Ausrichtung zum heutigen Uferverlauf orientiertes Amphorenfeld von ca. 9,5 x 5,0 m Ausdehnung, das sich auf die ehemalige Bugpartie des Schiffes konzentriert. Teilweise noch in der ursprünglichen Stapelung erhalten, weisen die Amphoren einen überwiegend guten Erhaltungszustand auf. Insgesamt acht Schiffsspanten, die den Seeboden in zum Teil nur geringer Höhe überragen, deuten die ursprüngliche Größe des Schiffes an. Sie mag ca. 15–20 m in der Länge und 5 m in der Breite gemessen haben. Damit lässt sich ein weiterer und nicht unerheblicher Ladungsanteil im bislang noch mit Sediment bedeckten Heckbereich annehmen. Erste Zählungen und grobe Schätzungen der gestapelten Amphorenreihen weisen auf eine Gesamtzahl von ca. 1000 Amphoren hin. Der Hauptteil der Gefäße kann typologisch dem Typ 28, c. 5 l nach Dyczek (2001) zugeordnet werden. Vermutlich stammen sie aus Heraclea Pontica. Besonders hervorzuheben ist der gute Erhaltungszustand der hölzernen Wrackteile. Nahezu fehlende Zerstörungsspuren an den seeseitigen Spanten lassen vermuten, dass die tiefer gelegenen Holzpartien erst in jüngerer Zeit freigelegt wurden. Leider ist eine Zerstörung an den höheren landseitigen und damit offensichtlich schon länger freiliegenden Schiffsbereichen nicht ausgeblieben. Neben der Beeinträchtigung durch die Fischerei ist vor allem die Zerstörung durch den Schiffsbohrwurm Teredo Navalis anzuführen, der am noch erhaltenen Mast mit einem Basisdurchmesser von 53 cm sowie an den höher freiliegenden Spanten bereits deutliche Spuren hinterlassen hat. AMS-Analysen am Leibniz Labor für Altersbestimmung und Isotopenforschung der Christian-Albrechts-Universität Kiel (Probennummer: KIA51372 Rusu HP-01) lieferten ein Radiokarbonalter von 1885 ± 30 BP. Zusammen mit den typologischen Beobachtungen an den dokumentierten Amphoren dürfte es sich damit um ein mittelgroßes römisches Frachtschiff aus der 2. Hälfte des 2. Jh. n. Chr. handeln, das beispielsweise bei starkem Seegang in Seenot geriet und am „Schlupfloch“, dem Eingang zur Bucht von Argamum unterging.
Das weitere Vorgehen am römischen Wrack „Rusu“ muss vorwiegend auf den Schutz und Erhalt der archäologischen Substanz konzentriert sein. Eventuell lässt eine finanziell realisierbare Grabung auf einer kleinen Fläche die Beantwortung der wichtigsten Fragestellungen zur Analyse der Ladung und Bauweise des Schiffes zu.
Tobias Pflederer, Max Fiederling, Max Ahl